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Stellen Sie sich vor, Ihr nächster Arztbesuch findet nicht in einer Praxis statt, sondern ganz bequem auf Ihrem Sofa. Willkommen in der Welt der Telemedizin!
In ländlichen Gebieten, wo Patientinnen und Patienten oft große Entfernungen zurücklegen müssen, um zum nächsten Arzt (oder Facharzt) zu kommen, eröffnet die digitale Medizin neue Wege. Könnte das die Rettung für die mangelnde Gesundheitsversorgung auf dem Land sein?
Telemedizin: Mehr als nur Videosprechstunden
Wenn Sie an Telemedizin denken, kommen Ihnen vielleicht zunächst Videosprechstunden in den Sinn. Doch dahinter steckt noch mehr Potenzial.
- Fernüberwachung von Patienten: Mit Hilfe von tragbaren Geräten, wie Smartwatches oder spezialisierten Gesundheitsmonitoren, können Ärzte kontinuierlich Vitaldaten ihrer Patienten überwachen, ohne dass diese regelmäßig in die Praxis kommen müssen – beispielsweise Herzfrequenz- oder Blutzuckermessgeräte. Das ist besonders hilfreich für chronisch kranke Patienten oder ältere Menschen, die Schwierigkeiten haben, weite Strecken zu reisen.
- Teledermatologie: Patienten können Hautveränderungen einfach fotografieren und die Bilder an Dermatologen schicken, die dann eine Diagnose stellen und Behandlungsvorschläge machen. Dies spart nicht nur Zeit, sondern ermöglicht auch eine schnelle Reaktion bei akuten Problemen.
- Teleradiologie: Radiologen können Röntgenbilder oder MRT-Scans, die etwa von Hausärzten erstell wurden, online analysieren, was besonders wertvoll ist in Regionen, wo keine Spezialisten vor Ort sind. Diese Technologie ermöglicht eine rasche und präzise Diagnose, die sonst Tage oder Wochen dauern könnte.
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Warum ist die medizinische Versorgung auf dem Land so schlecht?
Menschen, die in ländlichen Regionen leben, haben oft nicht die gleiche Qualität und den gleichen Zugang zu Gesundheitsdiensten wie Menschen, die in Städten wohnen.
Lange Wege zum nächsten Arzt oder Krankenhaus und schlechte Anbindungen durch den öffentlichen Nahverkehr erschweren den Zugang zu medizinischen Diensten erheblich – insbesondere in Notfällen. Dies führt dazu, dass viele Menschen zögern, überhaupt Hilfe in Anspruch zu nehmen, was ihre Gesundheit weiter gefährdet. Aber warum gibt es auf dem Land weniger Ärzte?
In Deutschland gibt es Regeln, die festlegen, wie viele Ärzte in einem bestimmten Gebiet arbeiten sollen. Diese Regeln sind Teil der sogenannten Bedarfsplanungsrichtlinie. Sie bestimmt, dass in städtischen Gebieten mehr Ärzte gebraucht werden als auf dem Land, weil dort mehr Menschen wohnen. In ländlichen Regionen sind weniger Ärzte vorgesehen, da dort weniger Menschen leben. Diese Planung berücksichtigt also hauptsächlich die Anzahl der Einwohner und nicht unbedingt die geografische Größe oder die spezifischen Bedürfnisse einer Region.
Dazu kommt, dass es viele Ärzte vorziehen, in Städten zu praktizieren, wo sie bessere Arbeitsbedingungen, höhere Gehälter und mehr berufliche Möglichkeiten finden.
Zudem sind ländliche Krankenhäuser und Kliniken oft schlecht ausgestattet und haben nicht die notwendigen Ressourcen, um komplexe medizinische Fälle zu behandeln. Der Mangel an moderner Technologie und spezialisierter Ausrüstung schränkt die Fähigkeit ein, umfassende medizinische Dienstleistungen anzubieten.
Telemedizin als Lösung?
69% der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland finden, dass Telemedizin die medizinische Versorgung auf dem Land verbessert. Das zeigt eine Befragung des Rechercheinstituts FactField im Auftrag von FOCUS-Gesundheit unter 6.783 Medizinern im Herbst 2024.
Die Befragung fand im Rahmen der Erhebung für die FOCUS-Top-Ärzteliste 2025 statt. Die Medizinerinnen und Mediziner beantworteten auch Fragen zu Digitalisierung, dem Einsatz von KI und den sich wandelnden Rollen von Arzt und Patient.

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Besonders Videosprechstunden sind (auch durch einen Boom während der Corona-Pandemie) hierzulande bereits häufig gefragt. „Jährlich werden in Deutschland schon mehr als zwei Millionen Videosprechstunden durchgeführt“, erklärt Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). An vorderster Front arbeiten Hausärzte und Psychotherapeuten mit der Beratung per Videochat.

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Die Wahl eines passenden Arztes kann für den Genesungserfolg entscheidend sein. FOCUS-Gesundheit gibt Orientierung bei der Suche nach dem richtigen Arzt und recherchiert für Sie Medizinerinnen und Mediziner, die für bestimmte Erkrankungen am meisten Erfahrung vorweisen können. Wichtiger Teil der Erhebung ist die jährliche fachspezifische Befragung von Ärztinnen und Ärzten, neben der Analyse von Sekundärdaten aus öffentlichen Quellen.
Deutschlands Top-Mediziner 2025 aus 126 Fachbereichen: https://www.focus-gesundheit.de/magazin/empfehlungslisten-top-mediziner-2025
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Probleme der Telemedizin
Obwohl Telemedizin viele Vorteile bietet und ein großes Potenzial hat, die Gesundheitsversorgung insbesondere in ländlichen Gebieten zu verbessern, birgt sie auch verschiedene Herausforderungen und Probleme.
Digitale Infrastruktur und Datenschutz
Ein stabiler Internetzugang ist auf dem Land oft noch nicht selbstverständlich. Außerdem ist das Thema Datenschutz ein weiterer kritischer Aspekt. Die Übertragung und Speicherung sensibler Gesundheitsdaten erfordert höchste Sicherheitsstandards, um das Vertrauen der Patienten zu gewinnen und ihre Privatsphäre zu schützen.
Erstattung und Haftung
Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen angepasst werden, um Telemedizin vollumfänglich zu unterstützen. Dies umfasst Regelungen zur Erstattung von Leistungen sowie zur Haftung im Falle von Fehlern oder Problemen bei der Fernbehandlung. Ohne klare gesetzliche Vorgaben bleiben viele Ärzte zögerlich, Telemedizin in ihrer Praxis einzuführen.
Qualität der Versorgung
Die physische Untersuchung eines Patienten kann oft nicht durch eine Videosprechstunde ersetzt werden. Es ist wichtig sicherzustellen, dass die telemedizinische Versorgung die gleiche Qualität wie die persönliche Betreuung bietet und dass Patienten bei Bedarf Zugang zu physischer medizinischer Unterstützung haben.
Seit März 2025 gelten für Videosprechstunden neue Qualitätsstandards, auf die sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband geeinigt haben. Diese erfordern eine gesicherte Anschlussversorgung der Patienten, um eine umfassende Behandlung sicherzustellen.
„Zwei Drittel der Videosprechstunden ziehen eine Behandlung vor Ort nach sich. Deshalb ist es wichtig, dass Ärzte Videosprechstunden vorrangig dann anbieten, wenn eine räumliche Nähe gegeben ist“, erklärt Steiner. „Davon sprechen wir, wenn die Arztpraxis innerhalb von 30 Minuten und bis zu 60 Minuten bei spezialisierter fachärztlicher Versorgung erreichbar ist.“
Fazit: Rettet Telemedizin die ländliche Gesundheitsversorgung?
Telemedizin bietet große Chancen für die Gesundheit von auf dem Land lebenden Menschen. Jedoch zeigen die Herausforderungen auch, dass es noch viel zu tun gibt, um Telemedizin als festen Bestandteil der Gesundheitsversorgung zu etablieren. „Mit gezielten Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur und Sicherstellung der Qualität kann jedoch ein großer Schritt in Richtung einer flächendeckenden Nutzung gemacht werden“, sagt Sibylle Steiner.
Die spannendsten Erkenntnisse der FOCUS-Gesundheit-Ärztebefragung 2025 hat unsere Redaktion in weitere Themengebieten aufbereitet:
- Shared Decision Making: Welche Therapie hätten Sie gerne?
- Künstliche Intelligenz, menschliche Medizin: Wie KI unser Gesundheitssystem verändert
- 71% der deutschen Ärzte nutzen noch Faxgeräte: Scheitert die Digitalisierung im Gesundheitswesen?
- Gezielter entscheiden, präziser behandeln: Was personalisierte Medizin heute leistet
Quellen
- Interview mit Sybille Steiner, KBV-Vorstandsmitglied; 16.04.2025
- Zentralinstitut kassenärztliche Versorgung: Zi-Trendreport zur vertragsärztlichen Versorgung; 22.01.2025
- Online-Informationen Kassenärztliche Bundesvereinigung. Neue Qualitätsstandards für die Videosprechstunde: www.kbv.de; Abruf: 22.04.2025
- Online-Informationen Kassenärztliche Bundesvereinigung. PraxisBarometer Digitalisierung 2024: www.kbv.de; Abruf: 22.04.2025
- Online-Informationen Kassenärztliche Bundesvereinigung. Videosprechstunde: telemedizinisch gestützte Betreuung von Patienten: www.kbv.de; Abruf: 22.04.2025
- Online-Informationen Bundeszentrale für politische Bildung: www.bpb.de; Abruf: 22.04.2025