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Ob bei der Analyse von CT-Bildern, der Planung individueller Therapien oder bei der Dokumentation: KI-Systeme sind in der Medizin längst im Einsatz – meist im Hintergrund, aber mit wachsender Bedeutung. Sie erkennen Muster, verarbeiten Daten in Sekundenschnelle und schlagen Handlungsschritte vor.
Doch mit den Möglichkeiten wachsen auch die Fragen: Wie verändert KI die ärztliche Rolle? Wo liegen die Grenzen und Gefahren der künstlichen Intelligenz? Und was braucht es, damit Technik und Mensch zusammen stärker werden als für sich genommen?
Was genau ist KI in der Medizin – und was nicht?
„Wenn Menschen an KI denken, haben viele sofort Roboter im Kopf, die eigenständig agieren“, sagt Dr. Sven Jungmann, Arzt und KI-Experte. „Aber in der Realität analysiert KI Daten, erkennt Auffälligkeiten, macht Vorschläge. Die ärztliche Entscheidung bleibt dabei immer menschlich.“

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Künstliche Intelligenz in der Medizin ist keine Zukunftsvision mehr, sondern vielerorts längst Realität. Gemeint sind damit computergestützte Systeme, die große Datenmengen analysieren, darin Muster erkennen und auf dieser Basis Vorschläge machen – etwa für Diagnosen, Therapieentscheidungen oder organisatorische Prozesse.
Eingesetzt wird KI vor allem dort, wo sehr viele Informationen in kurzer Zeit verarbeitet werden müssen: in der Radiologie, Dermatologie, Pathologie, Onkologie oder Notfallmedizin. Sie unterstützt dabei, Auffälligkeiten zu identifizieren und komplexe Zusammenhänge sichtbar zu machen.
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Wie Ärztinnen und Ärzte auf KI blicken – und wo sie Potenzial sehen
Die Erwartungen an Künstliche Intelligenz sind hoch. Laut der Umfrage des Rechercheinstituts FactField im Auftrag von FOCUS-Gesundheit sehen die befragten Ärztinnen und Ärzte in KI eine echte Chance für eine bessere Patientenversorgung. Besonders groß ist das Vertrauen in die Diagnostik, denn 89 Prozent halten KI für ein sinnvolles Instrument beim Erkennen von Tumoren oder seltenen Erkrankungen. Auch in der Therapieplanung sehen viele Potenzial. 74 Prozent glauben, dass KI helfen kann, passende Behandlungen gezielter auszuwählen.
„Als Mediziner neigen wir dazu, bekannte Muster zu suchen und übersehen mitunter, was nicht in unser Schema passt. KI kann uns da regelrecht den Spiegel vorhalten“, sagt Dr. Sven Jungmann. Denn anders als wir Menschen folgt sie keinen gewohnten Denkmustern, sondern analysiert auf Basis großer Datenmengen.
Das kann helfen, Routinen zu hinterfragen und ergänzende Perspektiven in den klinischen Alltag zu bringen. Doch auch KI-Systeme sind nicht frei von systematischen Schwächen: Sie erkennen nur, womit sie trainiert wurden. „Wirklich hilfreich wird KI dort, wo sie unsere blinden Flecken ergänzt, nicht neue schafft“, so Jungmann.
Auch im Verwaltungsalltag sehen viele der Befragten Potenzial: 85 Prozent erwarten, dass KI sie bei Dokumentation, Abrechnung und anderen administrativen Aufgaben spürbar entlasten kann. Aufgaben, die Zeit kosten, aber medizinisch wenig beitragen.
„Wenn wir klug starten wollen, dann dort, wo es unkompliziert ist“, so Jungmann. „KI kann heute schon Termine organisieren, Befunde sortieren oder Dokumente strukturieren. Diese Entlastung kann sofort spürbar werden – und schafft Vertrauen für mehr.“

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Wo KI heute schon hilft
Viele Anwendungen, die vor wenigen Jahren noch als Zukunftsvision galten, sind in Kliniken und Praxen längst angekommen. KI-Systeme unterstützen Ärztinnen und Ärzte dabei, schneller, präziser und oft auch verlässlicher zu handeln. Hier einige Beispiele aus der Praxis:
- Radiologie: KI erkennt Frakturen, Tumoren oder Lungenerkrankungen auf Röntgen- und CT-Bildern. Sie kann Bildrauschen reduzieren, Auffälligkeiten markieren, Messungen automatisieren und hilft, kritische Fälle zu priorisieren.
- Dermatologie: KI-gestützte Systeme analysieren Fotos von Hautveränderungen, identifizieren auffällige Läsionen und geben eine erste Einschätzung zum Risiko. Besonders bei der Erkennung von malignen Melanomen kann das hilfreich sein.
- Notfallmedizin: In der EKG-Auswertung kann KI helfen, Kammerflimmern oder Minderdurchblutung der Herzmuskulatur frühzeitig zu erkennen und in Echtzeit Alarm zu schlagen.
- Onkologie: KI-Systeme unterstützen die Therapieplanung, indem sie Bilddaten, Laborwerte und Tumormarker auswerten. Sie vergleichen aktuelle Befunde mit großen Datenbanken erfolgreicher Behandlungsverläufe und liefern so Hinweise auf mögliche Therapieoptionen.
- Pathologie: KI kann Zellveränderungen klassifizieren und die Diagnostik bei Krebserkrankungen unterstützen – etwa indem sie Mikrometastasen schneller und zuverlässiger erkennt.
In der Pflege hingegen wird das Potenzial bislang kaum genutzt – obwohl gerade hier dringender Bedarf besteht. Digitale Assistenzsysteme könnten helfen, Routinen zu vereinfachen, etwa durch automatisierte Dokumentation oder Patientenüberwachung. „Die Technologie ist da, sie wird nur noch nicht flächendeckend eingesetzt“, sagt Dr. Jungmann. „Mit vergleichsweise einfachen Anwendungen ließe sich schon viel Entlastung schaffen. Aber dafür brauchen wir mutigere Investitionen und verlässlichere Schnittstellen.“
Die Wahl eines passenden Arztes kann für den Genesungserfolg entscheidend sein.
FOCUS-Gesundheit gibt Orientierung bei der Suche nach dem richtigen Arzt – mit einer großen Erhebung unter Ärztinnen und Ärzten, ergänzt durch die Auswertung öffentlicher Quellen.
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Gute Daten, gute Medizin
Damit KI verlässlich funktioniert, braucht sie eine solide Datenbasis. Je vielfältiger und repräsentativer die Informationen, desto treffsicherer arbeiten die Algorithmen.
„KI ist nur so gut wie die Daten, mit denen wir sie füttern“, betont Jungmann. Ein Beispiel: Viele Trainingsdaten in der Dermatologie stammen von Patientinnen und Patienten mit heller Haut. „Wenn wir nur weiße Hauttypen berücksichtigen, erkennt die KI Hautveränderungen bei Menschen mit dunkler Haut schlechter. Das ist ein Sicherheitsrisiko – aber auch eine Chance: Denn wir können die Systeme gezielt besser machen, indem wir unterrepräsentierte Gruppen aktiv einbeziehen.“
Neben Diversität zählt auch die Qualität der Daten. Fehlerhafte oder unvollständige Informationen können zu gefährlichen Fehleinschätzungen führen. Deshalb sei es entscheidend, medizinische Datenquellen zu harmonisieren, Forschung und Versorgung besser zu verzahnen und klare ethische Standards zu schaffen. „Wir brauchen nicht nur viele Daten, sondern auch die richtigen. Und Regeln, wie wir mit ihnen umgehen“, so Jungmann.
Politik am Zug
Damit KI im Gesundheitswesen nicht nur punktuell zum Einsatz kommt, braucht es klare politische Weichenstellungen. Noch fehlt es an digitaler Infrastruktur, anrechenbaren Anreizen für Kliniken und verbindlichen Standards.
„Im Moment ist der Rahmen einfach zu träge“, sagt Jungmann. „Es fehlt nicht an technologischen Möglichkeiten, sondern an Gestaltungswillen.“ Innovation dürfe nicht durch Überregulierung gebremst werden. Gleichzeitig müssten Transparenz und Patientenschutz gewährleistet bleiben.
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Grenzen und Risiken der Technik
So leistungsfähig KI heute ist – sie hat Grenzen. Sie erkennt Muster, aber keine Zwischentöne. Sie kann analysieren, aber keine Beziehungen aufbauen.
„Früher sprach man beim Einsatz von KI oft vom Black-Box-Problem – also davon, dass man nicht versteht, wie genau ein System zu seinem Ergebnis kommt“, sagt Jungmann. „Heute gibt es erste Ansätze, die Entscheidungswege transparenter machen. Aber bei komplexen Modellen bleibt die Nachvollziehbarkeit eine Herausforderung.“
Denn nicht alles lässt sich in Daten fassen. Wie es einem Menschen wirklich geht, warum er Angst hat, zweifelt oder Hilfe sucht – das erschließt sich nicht allein durch Algorithmen. Hier bleibt die ärztliche Erfahrung unverzichtbar.
Der Mensch bleibt unersetzlich
Künstliche Intelligenz kann Diagnosen beschleunigen, Therapien präzisieren und Prozesse effizienter machen. Doch bei aller technischer Unterstützung bleibt eines zentral: der menschliche Blick.
Denn Medizin ist mehr als Datenanalyse. Sie lebt vom Zuhören, vom Einfühlen, vom Verstehen komplexer Lebenssituationen. All das kann eine KI nicht leisten – und soll es auch nicht.
„Wir brauchen keine Gleichberechtigung zwischen Mensch und KI, sondern eine strategische Arbeitsteilung“, sagt Dr. Jungmann. „Dort, wo Algorithmen präziser sind, dürfen sie führen. Doch überall, wo Erfahrung, Empathie und Kontext gefragt sind, bleibt der Mensch unersetzlich.“
Die spannendsten Erkenntnisse der FOCUS-Gesundheit-Ärztebefragung 2025 hat unsere Redaktion in weitere Themengebieten aufbereitet:
- Shared Decision Making: Welche Therapie hätten Sie gerne?
- Telemedizin: Rettung für die Gesundheitsversorgung auf dem Land?
- 71% der deutschen Ärzte nutzen noch Faxgeräte: Scheitert die Digitalisierung im Gesundheitswesen?
- Gezielter entscheiden, präziser behandeln: Was personalisierte Medizin heute leistet
Quellen
- Interview mit Dr. Sven Jungmann; 17.04.2025
- Jutzi, T B et al.: Hautkrebserkennung: Wie künstliche Intelligenz die Diffenzialdiagnose schärft; Deutsches Ärzteblatt; 2020; DOI: 10.3238/PersDerma.2020.06.12.03
- Försch S et al.: Künstliche Intelligenz in der Pathologie; Deutsches Ärzteblatt; 2021; DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0011
- Online-Informationen Das Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS: www.iks.fraunhofer.de; Abruf: 02.05.2025
- Online-Informationen Deutsches Ärzteblatt. Blickwinkel: Künstliche Intelligenz und Radiologie: www.aerzteblatt.de; Abruf: 02.05.2025
- Online-Informationen swissradiology consulting AG: https://x-ray-webinar.ch; Abruf: 02.05.2025
- Online-Informationen Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt: www.interaktive-technologien.de; Abruf: 02.05.2025
- Pressemeldung Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V.: Künstliche Intelligenz erkennt Herzalterung im EKG und warnt frühzeitig vor Herz-Kreislauf-Risiken; 17.02.2025
- Pressemeldung Westdeutsches Tumorzentrum Netzwerk: KI in der Krebsforschung: Besseres Verständnis der Tumor-Ausbreitung; 24.03.2025
- Pressemeldung Deutsches Krebsforschungszentrum: KI-basierte Unterstützung für die Hautkrebsdiagnostik erklärt ihre Entscheidungen; 17.01.2024