Werbung

Pflexit: Wege aus dem Pflege-Exit

Sie sind das Rückgrat des Systems. Wie Kliniken und Politik Pflegende gewinnen und halten wollen.

Veröffentlicht: 2025-11-24T14:00:00+01:00

Werbung

© sturti / Getty Images

Gute Pflege, gute Genesung. Wie erfolgreich eine Operation oder Behandlung im Krankenhaus verläuft, hängt nicht allein von den Leistungen der Ärzte ab. Heilen ist Teamarbeit, betonen Spitzenmediziner. Die pflegerische Expertise an OP-Tischen und Krankenbetten spielt für den Behandlungserfolg eine wesentliche Rolle. Professionelle Pflegefachleute, wie Krankenschwestern und Krankenpfleger heute offiziell heißen, reichen Instrumente, dosieren Medikamente, kontrollieren Krankheitsverläufe, lindern Beschwerden, warnen bei Auffälligkeiten, sind erste Ansprechpartner bei Ängsten oder Komplikationen für die Erkrankten und für deren Angehörige.

„Pflege ist einer der wichtigsten Bestandteile der Medizin an unserem Uniklinikum und ein extrem verantwortungsvoller Bereich“, bestätigt Markus Lerch, Internist und Ärztlicher Direktor sowie Vorstandsvorsitzender des LMU-Klinikums in München. „Unsere hoch spezialisierten Pflegekräfte in der Onkologie beispielsweise verfügen über ein enormes Wissen, was die verschiedenen Chemotherapeutika und die Behandlungszyklen betrifft. Damit sind sie in der Lage, die Patienten selbstständig anzuleiten, sei es im Umgang mit Nebenwirkungen oder der Nachsorge.“

Nicht zuletzt beeinflusst die Qualität der Pflege die Patientensicherheit – bis hin zu höheren Überlebensraten. Den Nachweis erbrachte 2016 eine internationale Querschnittsstudie der Universität von Pennsylvania in Philadelphia. Für die Untersuchung nahmen die Forschenden rund 245 Krankenhäuser in Belgien, England, Finnland, Irland, Spanien und der Schweiz unter die Lupe. Dabei zeigte sich: Je größer der Anteil der examinierten Fachkräfte an der pflegenden Gesamtbelegschaft war, desto stärker nahm die Mortalität in den Krankenhäusern ab. „Wer fachlich gut ausgebildet ist, achtet schon beim Betreten des Krankenzimmers auf wichtige Details wie etwa die Hautfarbe des Patienten, seine Sitzhaltung oder Stimme", erklärt Martina Hasseler, Professorin für Gesundheits- und Pflegewissenschaften an der Ostfalia Hochschule und examinierte Pflegefachkraft. Solche Beobachtungen sind ein Frühwarnsystem für sich anbahnende Komplikationen.

© FOCUS-Gesundheit

Klinikliste 2026

FOCUS-Gesundheit 05/2025

Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe Klinikliste 2026 von FOCUS-Gesundheit. Weitere Themen: Klinische Studien können Kranke frühzeitig in neue Therapien bringen. Modernste Diagnostik revolutioniert die Medizin. Plus: Deutschlands Top-Kliniken.

 

Ein Job mit Renommee

Beinahe 530.000 Menschen arbeiten derzeit als Pflegekräfte in deutschen Kliniken. Dass sie eine tragende Säule des Gemeinwesens sind, ist im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. In einer repräsentativen Umfrage zum Ansehen der Berufsgruppen im öffentlichen Dienst, die der Beamtenbund jährlich in Auftrag gibt, liegen Pflegefachleute stabil auf Platz 2 – knapp hinter den Feuerwehrleuten und vor den Ärztinnen und Ärzten (Platz 3).

Auch die strengsten Kritiker im Gesundheitssystem, die Patienten, bestätigen, dass auf den Stationen überwiegend ein guter Job gemacht wird. In der größten Erhebung zur Krankenhausversorgung von der AOK gaben 91 Prozent der Befragten an: „Ich bin zufrieden damit, wie die Pflegekräfte mit mir umgegangen sind.“

  • 1,36 Millionen Menschen arbeiten in Pflegeberufen (davon 39 Prozent in Krankenhäusern, 37 Prozent in stationären und 24 Prozent in ambulanten Pflegeeinrichtungen)
  • 82 Prozent sind Frauen
  • 49 Prozent sind in Teilzeit beschäftigt

Quelle: Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), 2025

Werbung

Woran es krankt

Weniger zufrieden sind hingegen die Pflegekräfte selbst. Nicht wenige hadern mit ihrer Jobwahl. Zwar bereitet der Beruf selbst den meisten Beschäftigten Freude. Doch die Rahmenbedingungen trüben die Stimmung. Stress, Burnout und körperliche Beschwerden sind weitverbreitet.

Der Begriff „Pflexit“, also der Berufs-Exit vieler Pflegekräfte, steht für die wachsende Abwanderungsbereitschaft. Es fehlt an Fachkräften. Einer Branchenumfrage aus dem Jahr 2024 zufolge gelingt es kaum einem Krankenhaus in Deutschland, offene Stellen für Pflegefachberufe auf den Allgemeinstationen vollständig zu besetzen. „Aufgrund des Personalmangels steigen auch die Belastungen durch häufigere Nachtarbeit und kurzfristiges Einspringen bei Aus-
fällen“, stellt der Forschungsbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung von 2023 fest. Ein Teufelskreis.

75 Prozent der Kliniken erwarten in den kommenden drei Jahren eine Verschlechterung der Stellensituation in der Intensivpflege, für die Allgemeinstationen befürchten dies sogar 86 Prozent, so der Bericht. Weil geeignete Bewerber fehlen, das vorhandene Pflegepersonal überlastet ist, die Teilzeitquote steigt und viele kurz vor dem Renteneintritt stehen. All das zwingt Kliniken zu vermehrten Anstrengungen, gutes Personal zu gewinnen – und zu halten.

  • 39.000 Pflegekräfte werden in den kommenden 10 bis 12 Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden (Quelle: Bundesagentur für Arbeit (BA), 2025)
  • 100.000 zusätzliche Pflegekräfte in Vollzeit benötigen die Krankenhäuser bis 2049 aufgrund der alternden Gesellschaft (Quelle: Destatis, Pflegekräftevorausberechnung, 2024)
  • 16,2 Prozent der Pflegekräfte haben eine ausländische Staatsbürgerschaft (Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), 2024)
  • 147.000 Menschen machen derzeit eine Ausbildung zur Pflegefachkraft; 1.200 absolvieren ein Pflegestudium (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2025)

 

Die Attraktivität des Berufs steigern 

Am Klinikum Stuttgart hat man – wie an anderen Krankenhäusern auch – ein ganzes Maßnahmenbündel geschnürt: angefangen von individuellen Arbeitszeitmodellen, Mitarbeiterwohnungen, eigenen Kitaplätzen, Jobrad und betrieblicher Gesundheitsförderung bis hin zu rund hundert verschiedenen Möglichkeiten zur Fort- und Weiterbildung. „Ein wichtiger Baustein ist auch unser Onboarding-Programm. Dabei begleiten wir neue oder in den Beruf zurückkehrende Pflegefachpersonen die ersten zwölf Monate lang, beispielsweise durch Mentoring“, sagt Oliver Hommel, Pflegedirektor des Klinikums Stuttgart. „Das hilft den Mitarbeitern nicht nur, gut in ihre Aufgaben und in ihr Team hineinzuwachsen. Es bindet sie auch längerfristig an die Klinik.“

Werbung

Qualifizierung als Chance

Das Gros der Pflegefachkräfte wünscht sich mehr Kompetenzen und mehr Verantwortung, zeigt die alljährliche Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe. Die Botschaft ist in der Politik angekommen. Die Bundesregierung will der Pflege künftig mehr Eigenverantwortung und Handlungsspielräume geben – bis hin zu Aufgaben, die bislang Ärzten vorbehalten waren. In Holland, Irland, Großbritannien oder Australien ist das längst üblich. In Deutschland sollen Pflegende künftig chronische Wunden versorgen, Folgeverordnungen ausstellen oder Hilfsmittel verschreiben dürfen. „Das nötige Wissen ist da, es ist bereits Teil der Ausbildung zur Pflegefachkraft sowie des Pflegestudiums an Hochschulen“, betont Pflegedirektor Hommel. „Es muss nur besser genutzt werden.“

  • 84 Prozent empfinden ihren Pflegeberuf als sinnstiftend
  • 57 Prozent würden den Beruf wieder ergreifen
  • 51 Prozent sind mit der Bezahlung zufrieden bis sehr zufrieden
  • 42 Prozent finden die Personalbesetzung unzureichend
  • 70 Prozent wünschen eine Ausweitung der Befugnisse
  • 77 Prozent sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen
  • 27 Prozent denken darüber nach, den Beruf aufzugeben

Der perfekte Mix

Die Bandbreite der Tätigkeiten auf einer Krankenstation ist gewaltig. Sie reicht von Essensausgabe und Bettenmachen über Körperpflege oder Wundversorgung sowie Dokumentation und Pflegeplanung bis zum raschen Management lebensbedrohlicher Situationen. Idealerweise besteht ein Team aus Pflegenden mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus, betont etwa eine Analyse des Instituts für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen.

Pflegehelferinnen und -helfer können, sofern der Zustand des Patienten stabil ist, Aufgaben der Grundpflege übernehmen, wie Waschen, Umbetten, Blutdruckmessen. Examinierte Pflegefachkräfte gewinnen dadurch Zeit für anspruchsvollere Tätigkeiten. Je komplexer die Medizin, desto komplexer und spezifischer auch die Versorgung. 

Schon deshalb müssen Potenziale und Ressourcen gut eingesetzt werden. Diese Entwicklung erfordert zudem eine größere Anzahl von spezialisierten Pflegefachkräften sowie mehr akademisch ausgebildetes Personal. Zehn bis 20 Prozent sollten laut Empfehlung des Wissenschaftsrates einen Bachelor- oder Masterabschluss vorweisen. Dies würde, so der Expertenrat, die Forschungskompetenz im Pflegebereich stärken, neue wissenschaftliche Erkenntnisse kämen in die praktische Umsetzung, und nicht zuletzt stiege die Attraktivität des Pflegeberufs.

Derzeit studieren hierzulande jedoch weniger als drei Prozent. „Wir liegen im EU-Vergleich weit zurück“, kritisiert Pflegewissenschaftlerin Hasseler. In den Niederlanden hätten bereits 45 Prozent der Pflegekräfte einen akademischen Abschluss, betont die Hochschullehrerin.

Werbung

Patienten profitieren

Tanja Gebauer arbeitet als Pflegefachfrau im Elblandklinikum Radebeul, ist Akademikerin mit Bachelorabschluss und kümmert sich in der Fachabteilung für Brustchirurgie um Frauen nach einer Brustkrebs-Operation. Nebenberuflich absolviert die 27-Jährige derzeit ein Masterstudium in Pflegewissenschaft in Jena. „Was wir an der Hochschule lernen, können wir direkt am Bett der Patientinnen anwenden“, sagt sie. Beispielsweise könnte sie Menschen mit Diabetes nicht nur bei der Blutzuckermessung anleiten, sondern auch fundiert zu Ernährung, Bewegung und Selbstmanagement beraten. Vorausgesetzt, es bleibt genug Zeit. „Seit Anfang des Jahres nehme ich wieder Essensbestellungen auf und bringe Mahlzeiten ans Bett für Patientinnen, die nicht mobil sind“, erzählt Gebauer. Zuvor waren dafür auf der Station Servicekräfte zuständig. Aber infolge einer Gesetzesänderung durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz werden seit Anfang 2025 Servicekräfte in Kliniken nicht mehr über das Pflegebudget refinanziert. Krankenhäuser lösen das Problem unter anderem, indem sie die Aufgaben an die Pflegefachkräfte zurückdelegieren.

Auch überbordende Bürokratie lenkt vom Eigentlichen – der Zeit am Patienten – ab. Drei Stunden täglich verlören Klinikteams durch Dokumentationsaufgaben und Nachweispflichten, kritisiert die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Eine Reduktion um nur eine Stunde pro Tag würde rechnerisch etwa 47.000 Vollzeitkräfte im Pflegedienst freisetzen. Auch darauf hat die Politik reagiert. Im Gesetzentwurf, der die Ausweitung der Kompetenzen in der Pflege regelt, werden die Dokumentationspflichten begrenzt.

  • 7,7 Klinikbetten kommen auf 1.000 Einwohner. Das sind 60 Prozent mehr als im EU-Durchschnitt
  • 12 Pflegekräfte stehen pro 1.000 Einwohner zur Verfügung

Quelle: Verband der Ersatzkassen e. V. (vdeK), 2024

Entlastung durch Digitalisierung?

Innovative Techniklösungen könnten zusätzlich unterstützen. Digitale Patientenakten, elektronische Medikationspläne, aber auch telemedizinische Ansätze sollen Abläufe optimieren. Das Münchner LMU-Klinikum experimentiert mit unterschiedlichen Lösungen. Die digitale Dokumentation von Pflegeprozessen soll Doppelarbeit ersparen und Fehlerquellen vermeiden. In einem Modellprojekt bringen Serviceroboter Getränke ans Krankenbett. In einem weiteren Testlauf kommunizieren Patienten per App vom Zimmer aus mit Pflegekräften. „Wenn Patienten klingeln, weiß der Pflegende in der Zentrale nicht: Hat der Betreffende Durst, starke Schmerzen oder möchte er, dass das eingenässte Bett frisch bezogen wird?“, so Lerch. „Mit der App kann er seine Bedürfnisse direkt übermitteln. Das entlastet die Pflege ungemein.“

Werbung

Win-win-Situation

Vieles ist in Bewegung in der professionellen Pflege. Weniger Bürokratie, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Möglichkeiten zur Weiterbildung versprechen den Beruf zukünftig wieder attraktiver zu machen. Neben den Beschäftigten selbst profitieren davon auch die Erkrankten. Durch lückenlosere Versorgung, bessere Behandlungsqualität und mehr Patientensicherheit. Gute Genesung braucht gute Pflege.

© FOCUS-Gesundheit

Klinikliste 2026

FOCUS-Gesundheit 05/2025

Neues Nüchterheitskonzept: Einige Kliniken verkürzen die Zeiten der Nüchternheit vor einem chirurgischen Eingriff drastisch. Klinische Studien können Kranke frühzeitig in neue Therapien bringen. U.v.m. Plus: Deutschlands Top-Kliniken.

Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

Höchster Qualitätsanspruch: So arbeiten wir.

Fragen? Schreiben Sie uns!

Dr. Andrea Bannert

Redaktionsleitung DIGITAL FOCUS-Gesundheit

Facebook Logo Instagram Logo Email Logo
Fragen Bild
Redaktor Bild

Hinweis der Redaktion

Im Sinne einer besseren Lesbarkeit unserer Artikel verwenden wir kontextbezogen jeweils die männliche oder die weibliche Form. Sprache ist nicht neutral, nicht universal und nicht objektiv. Das ist uns bewusst. Die verkürzte Sprachform hat also ausschließlich redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung. Jede Person – unabhängig vom Geschlecht – darf und soll sich gleichermaßen angesprochen fühlen.