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Prävention von Herzerkrankungen: Screenings würden viel bringen

Gute Medizin, viele Herztote – was läuft falsch? Kardiologe Steffen Massberg im Interview.

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Modell eines menschlichen Herzes

© Natali Mis / iStockphoto

Die Statistik verzeichnet kaum Bewegung. Rund 350.000 Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr an Herz-Kreislauf- Erkrankungen, so der aktuelle Herzbericht. Seit Langem verharrt die Zahl auf dem hohen Niveau. Ein krankes Herz bleibt Todesursache Nummer eins und der Grund, warum die Lebenserwartung hierzulande die niedrigste in den westeuropäischen Ländern ist. Das sogenannte Gesundes-Herz-Gesetz sollte Besserung bringen, wurde wegen des vorzeitigen Endes der Regierung Scholz aber nicht mehr verabschiedet. Was aus Sicht medizinischer Experten jetzt geschehen sollte, darüber gibt der Kardiologe Steffen Massberg Auskunft.

Prof. Steffen Massberg, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Vorstand des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung. Seine Spezialgebiete sind die Behandlung koronarer Herzerkrankungen sowie die Herzklappentherapie.

Herr Prof. Massberg, Deutschland rühmt sich einer guten medizinischen Versorgung bei Herzerkrankungen, die Sterblichkeit bleibt aber unverändert hoch. Was stimmt da nicht?

Steffen Massberg: Laut aktuellem Herzbericht ist die Sterblichkeit sogar leicht angestiegen. Obwohl Expertise und
Therapieangebote von hoher Qualität sind und wir bei der Behandlung von Herzerkrankungen große Fortschritte gemacht haben. Schwach sind wir bei Früherkennung und Prävention – zu schwach. 

Beginnen wir mit den Erfolgen: Was sind die Fortschritte bei der Therapie?

Bei akutem Herzinfarkt ist die Sterblichkeit rückläufig und im EU-Vergleich sogar niedrig. Die Abläufe in den Kliniken wurden optimiert, sodass der entscheidende Eingriff, die Wiedereröffnung der verschlossenen Gefäße, rasch durchgeführt werden kann. Geradezu Revolutionäres hat sich im Bereich Herzklappenersatz getan. Wir operieren inzwischen sehr oft minimalinvasiv bei örtlicher Betäubung, was für die Patientinnen und Patienten erheblich schonender ist. Dank katheterbasierter Verfahren haben wir bei der Aortenklappenstenose, dem häufigsten Herzklappenfehler, die Sterblichkeit halbiert. Patienten mit Herzschwäche profitieren von einer effektiveren medikamentösen Therapie und verbesserten Schrittmachersystemen. Und bei der Diagnostik zeigt die Computertomografie (CT) Gefäßerkrankungen bereits in einem frühen Stadium. Das neue Ve fahren der Photon-Counting-CT produziert Bilder in extrem hoher Auflösung und wird die Qualität noch mal heben.

Warum geht die Rechnung in Summe nicht auf?

Weil die Anzahl der Herzinfarkte zu hoch ist, vielhöher als in anderen Ländern. Unser Gesundheitssystem konzentriert sich auf die Behandlung von Erkrankungen und Komplikationen. Die Früherkennung fokussiert sich auf Krebs, für kardiovaskuläre Erkrankungen gibt es kein gesetzlich verankertes Screening. Das ist paradox, denn es sterben mehr Menschen an Herzkrankheiten als an Tumoren. Hier müssen wir ansetzen. Es geht darum, diejenigen frühzeitig zu identifizieren, die, ohne es zu wissen, ein erhöhtes Risiko haben.

Das erreichen wir durch die Kontrolle der fünf Hauptrisikofaktoren: erhöhtes LDL-Cholesterin, Bluthochdruck, Diabetes sowie Rauchen und Übergewicht. Mit simplen Maßnahmen ließe sich ein gutes Screening etablieren. Spanien beispielsweise hat das eingeführt und ist inzwischen eines der Länder in Europa mit der niedrigsten Sterblichkeit infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Ab welchem Alter sollte ein Screening stattfinden?

Früh. Wünschenswert ist bereits ein Check bei Kindern, etwa im Rahmen der U9-Untersuchung, also mit fünf Jahren. Damit könnten wir eine angeborene Fettstoffwechselstörung, die familiäre Hypercholesterinämie, erkennen und den erhöhten LDL-Wert dann auch medikamentös behandeln. 5.000 bis 10.000 Neugeborene pro Jahr haben diese Erkrankung, bei den wenigsten wird sie diagnostiziert. Unbehandelt leiden die Betroffenen bereits im jungen Erwachsenenalter an schweren kardiovaskulären Schäden, nicht selten bekommen sie mit 30 Jahren den ersten Infarkt. 

Die Nationale Herz-Allianz, ein Verbund verschiedener Fachgesellschaften, hat daher vor einem Jahr die Vroni-Studie gestartet. Kinder zwischen fünf und 14 Jahren werden im Rahmen der regulären Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt auf familiäre Hypercholesterinämie gescreent und gegebenenfalls therapiert. Die Studie soll endlich die Evidenz für
diese wichtige Maßnahme schaffen.

FOCUS-Gesundheit – Herz & Gefäße

© FOCUS-Gesundheit

Herz & Gefäße

FOCUS-Gesundheit 03/2025

Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe Herz & Gefäße von FOCUS-Gesundheit. Weitere Themen: Impfung gegen Infarkt – Lassen sich Entzündungen in den Gefäßwänden bald stoppen? Problemlos aktiver werden mit unserer 3-Stufen-Challenge. Plus: Deutschlands Top-Mediziner und Top-Kliniken für Kardiologie.

Im Gesundes-Herz-Gesetz waren kardiovaskuläre Check-ups im Alter von 25, 40 und 50 Jahren vorgesehen. Was würde das bringen?

Je früher die Hauptrisikofaktoren erkannt und behandelt werden, umso mehr Lebenszeit – und zwar gesunde Jahre – gewinnen die Betroffenen. Darum halte ich ein gesetzlich verankertes Screening für unabdingbar. Es sollte Folgendes umfassen: eine Anamnese bezüglich Rauchen, Blutdruckmessung, Labortests mit Cholesterinwerten und BNP, das ist ein Markerfür Herzinsuffizienz. 

Damit wäre ein Großteil der möglichen kardiovaskulären Erkrankungen abgedeckt. Der Aufwand würde sich im Rahmen halten. Er dürfte kaum über jenem liegen, den wir beispielsweise für Prostata-Screenings betreiben – also für nur eine von vielen möglichen Tumorerkrankungen.

80 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien vermeidbar, heißt es. Lässt sich das erreichen mit den üblichen Lebensstilempfehlungen: mehr Bewegung, mehr Gemüse, keine Zigaretten?

Früherkennung gehört auch zwingend dazu. Aber tatsächlich hat der Lebensstil einen Anteil von ungefähr 50 Prozent. Keine Zigaretten ist dabei der wichtigste Punkt. Ich hatte neulich einen 40-jährigen Patienten nach Herzinfarkt und Wiederbelebung, Raucher seit dem 18. Lebensjahr. Er hat nach dem einschneidenden Erlebnis keine Zigarette mehr angerührt. 

Einfach aufhören funktioniert allerdings meistens nicht. Rauchen ist eine Erkrankung. Das müssen wir akzeptieren und entsprechend handeln. Das heißt, es braucht eine Therapie. Rauchentwöhnungsprogramme kombinieren psychosomatische Betreuung und medikamentöse Behandlung. Arzneimittel sollten beim Nikotinentzug großzügig eingesetzt werden. Sie haben in dem Zusammenhang einen hohen Stellenwert – wie im Übrigen auch bei den anderen Risikofaktoren.

Screenings ausweiten und Risikofaktoren frühzeitig mit Medikamenten behandeln – sind das die entscheidenden Stellschrauben?

Es sind erste, sehr wichtige Schritte.

Was ist darüber hinaus nötig?

Gesamtgesellschaftlich fehlt das Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In Umfragen rangiert die Angst vor Krebs ganz oben, Herzerkrankungen werden oft als sanfte Form des Ablebens gesehen. Das sind sie nicht. Herzschwäche ist eine chronische Erkrankung, die einen enormen Verlust an Lebensqualität bedeutet. Außerdem hat sich die Erkenntnis noch nicht durchgesetzt, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht schicksalhaft sind, sondern dass jeder Einzelne sehr viel tun kann, um sie zu vermeiden. Und schließlich wissen erschreckend wenige Menschen, wie sie sich in einer Notfallsituation richtig verhalten, etwa wenn der Partner bewusstlos am Boden liegt und nicht mehr atmet. Ich habe eine Zeit lang in den USA gelebt. Dort verbreitet das Fernsehen quasi beiläufig medizinische Informationen von hoher Qualität. Zu allen Tageszeiten laufen Spots, die beispielsweise erklären, wie ein Defibrillator funktioniert oder worauf es bei der R animation ankommt. Die Zuschauer werden so vertraut gemacht mit den Abläufen, die im Ernstfall nötig sind, und haben weniger Scheu zu handeln. Positiver Nebeneffekt der Aufklärungskampagne: Das Thema Herzkrankheiten bekommt Öffentlichkeit.

Welche Ansatzpunkte sehen Sie, um bei der Prävention voranzukommen?

Da ist auch die Politik gefragt. Der Staat verfügt durchaus über Möglichkeiten, die Menschen Richtung gesundes Verhalten zu lenken. Etwa über Steuern. Eine Erhöhung der Tabaksteuer halte ich für richtig und notwendig. In Deutschland ist die Abgabe im europäischen Vergleich eher niedrig, die Raucherquote relativ hoch. Eine Verteuerung von Zigaretten würde Rauchen unattraktiver machen. Auch bei ungesunden Lebensmitteln wäre Besteuerung ein Weg. Großbritannien hat vor sieben Jahren die sogenannte Zuckersteuer auf Softdrinks eingeführt, der Zuckerkonsum ging daraufhin deutlich zurück. 

Noch mal zurück zum Rauchen: Viele halten E-Zigaretten für eine „gesunde“ Alternative zum Tabak. Das ist bislang aber völlig unklar, erste belastbare Studien dazu werden erst in ein paar Jahren vorliegen.

Abschreckung ist das eine, wie aber lassen sich positive Anreize für gesundheitsbewusstes Verhalten setzen?

Die Lebensmittelampel ist eine Idee. Die Farben Grün, Gelb und Rot auf den Verpackungen sollen signalisieren, bei welchen Produkten das Nährstoffprofil günstig oder eher ungünstig ist. Man kann davon ausgehen, dass Kunden bevorzugt zu grün gekennzeichneten Produkten greifen würden. Leider funktioniert das System nicht, weil die Kennzeichnung nicht verpflichtend ist. Ein anderer Punkt wäre, gesunde Ernährung preisgünstiger zu machen, indem beispielsweise Gemüse von der Mehrwertsteuer befreit wird oder Ähnliches. All das sind mögliche Maßnahmen zusätzlich zu Screening und frühzeitiger Therapie mit Medikamenten.

Wann Cholesterinsenker und Blutdruckmittel sinnvoll sind, ist ja durchaus umstritten. 

Zu Unrecht. Lipidsenker sind essenziell. Mit niedrigem, dem individuellen Risiko angepasstem LDL-Cholesterin-Wert lässt sich messbar Lebenszeit gewinnen. Das belegt eine ganze Reihe exzellenter Studien. Der Effekt ist nicht wegzudiskutieren. Die Ablagerung von Cholesterin in den Gefäßen beginnt bereits ab einem Alter von 20, 30 Jahren. Eine Atherosklerose entwickelt sich über Jahrzehnte. Es ist wichtig, den Prozess zeitig zu erkennen und früh zu intervenieren. Sind die Schäden erst einmal vorhanden, lassen sie sich nicht mehr komplett heilen. Hoher Blutdruck begünstigt die Plaquebildung. Auch hier gilt: Je früher wir behandeln, umso mehr gewinnen die Betroffenen. Kommen die Werte durch Lebensstiländerungen wieder in den Normbereich, können die Medikamente durchaus abgesetzt werden.

Was tun Sie persönlich für ein herzgesundes Leben?

Mir geht es wie vielen anderen; ich weiß, wie wichtig Bewegung ist, nehme mir für Sport aber oft nicht die Zeit. Mein Ausweg aus dem Dilemma: Ich nutze den Weg zur Arbeit sportlich und fahre mit dem Rad in die Klinik. So strample ich täglich
45 Minuten lang, statt in der U-Bahn zu sitzen. Bei der Ernährung esse ich eher selten Fleisch und wenn, dann bewusst. Ein bisschen stolz bin ich, dass ich im Freundeskreis vier Personen überzeugen konnte, mit dem Rauchen aufzuhören. Das haben sie mit einem Entwöhnungsprogramm dann auch geschafft.

FOCUS-Gesundheit – Herz & Gefäße

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Herz & Gefäße

FOCUS-Gesundheit 03/2025

Das Interview erschien zuerst in der Ausgabe Herz & Gefäße von FOCUS-Gesundheit. Weitere Themen: Impfung gegen Infarkt – Lassen sich Entzündungen in den Gefäßwänden bald stoppen? Problemlos aktiver werden mit unserer 3-Stufen-Challenge. Plus: Deutschlands Top-Mediziner und Top-Kliniken für Kardiologie.

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Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

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Dr. Andrea Bannert

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