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Chronische Schmerzen – So hilft die multimodale Schmerztherapie

Chronische Schmerzen gelten heute als eigenständige Erkrankung – mit vielfältigen Ursachen. In der Reha profitieren Patientinnen und Patienten von einem ganzheitlichen Therapieansatz, der das komplexe Zusammenspiel aus Körper, Psyche und sozialen Belastungen in den Blick nimmt.

Geprüft von , Chefredakteurin FOCUS-GESUNDHEIT

Veröffentlicht: 2025-09-15T11:10:39+02:00

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© Andrey Popov / iStockphoto

Der Schmerz fühlt sich an wie ein inneres Feuer, erklärt der Patient im Gespräch mit Psychotherapeutin Elke Goldau. Nichts könne ihn davon ablenken. „Ich hasse, wie sehrer mein Leben bestimmt. Manchmal bin ich extrem wütend – aber vor allem fehlt mir nach neun Jahren die Hoffnung, dass sich noch einmal irgendetwas an meinem Zustand ändern könnte.“ Schildrrungen wie diese sind typisch für das Erleben und Empfinden von Menschen, die unter Dauerschmerzen leiden. An der Frankenland-Klinik in Bad Windsheim, in der Elke Goldau arbeitet, suchen sie Hilfe. Die Rehaeinrichtung bietet für chronische Schmerzpatienten eine vierwöchige multimodale Therapie an, bei der Expertenteams aus unterschiedlichen Fachrichtungen einen interdisziplinären Blick auf die Erkrankung werfen.

Dauerschmerzen können auf chronische Krankheiten wie Rheuma, Diabetes oder einen Tumor zurückgehen. Häufig lässt sich aber keine medizinische Ursache finden. „Dann wird Schmerz zu einem eigenständigen, vielschichtigen Krankheitsbild, das seine ursprüngliche Warnfunktion verloren hat“, sagt Goldau. Viele Betroffene kämen erst in die Reha, nachdem sie jahrelang verschiedene Fachärzte aufgesucht und diverse Schmerzmittel, medizinische Behandlungen oder Physiotherapie ausprobiert hätten. „Trotzdem sind ihre Schmerzen noch da. Meist liegt das daran, dass ihrem Leiden nie individuell und aus verschiedenen Blickwinkeln auf den Grund gegangen wurde“, so die Psychologin.

Schmerz-Entstehung: Das biopsychosoziale Modell

Experten sind sich einig, dass drei Einflussfaktoren und deren Wechselwirkungen Schmerzen auslösen, verstärken und aufrechterhalten können: biologische wie etwa Entzündungen, Verspannungen, Gelenkschäden; psychologische wie Ängste, Niedergeschlagenheit, Frustration, Stress; soziale wie private Konflikte oder Arbeitsunfähigkeit. „Meist gab es einen körperlichen Auslöser – zum Beispiel eine Knieverletzung, Operation oder Nervenentzündung an der Wirbelsäule“, erklärt Mediziner Rainer Tischendorf, Chefarzt an der Frankenland-Klinik. „Dass sich die Missempfindungen dann aber über eine normale Heilungsphase hinaus verstärken und anhalten, hat bei jedem Patienten individuelle Gründe“, sagt der Facharzt für Orthopädie sowie Physikalische und Rehabilitative Medizin.

Ein möglicher Verlauf: Um jedes Schmerzgefühl zu vermeiden, verfallen Patienten in ein extremes Schonverhalten. Durch die fehlende Bewegung bauen Muskeln und koordinative Fähigkeiten ab. Das führt zu Fehlhaltungen und muskulären Verspannungen – die Schmerzrezeptoren in Muskeln und Faszien werden empfindlicher und steigern das Schmerzgefühl. Betroffene denken noch häufiger über den Schmerz nach, machen sich immer mehr Sorgen, entwickeln Ängste. Sie trauen sich immer weniger zu, wollen andere nicht belasten und ziehen sich sozial zurück. Gefühle der Isolation und Hilflosigkeit befeuern die negativen Gedanken. Der psychische Stress wächst. Der erhöhte Stresshormonpegel macht das zentrale Nervensystem sensibler und kann Entzündungsprozesse sowie Muskelverspannungen verschlimmern. Auf der sozialen Ebene werden etwa Arbeitsplatzunsicherheit oder bereits vorhandene Ehekonflikte zu einem weiteren Stress- und damit Schmerzverstärker. Oder: Die dauerhaft schlechte Stimmung und Passivität des Patienten löst eine Beziehungskrise erst aus. In Summe haben die Faktoren auf allen drei Ebenen den Schmerz verstärkt – obwohl die ursprüngliche medizinische Ursache sich nicht verschlechtert hat oder gar nicht mehr besteht.

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Interdisziplinärer Ansatz: Den Schmerz im Team bekämpfen

An diesem sogenannten biopsychosozialen Erklärungsmodell setzt die multimodale Schmerztherapie an. „Die Patienten erleben in einer Reha- oder Fachklinik meist zum ersten Mal, dass sich ein Team aus verschiedenen Fachbereichen ganzheitlich und zeitintensiv um sie kümmern kann“, berichtet die psychologische Psychotherapeutin Goldau. Mediziner, Physiotherapeuten, Psychologen und Sozialarbeiter nehmen die individuelle Schmerzgeschichte und den Lebensalltag jedes Einzelnen detailliert unter die Lupe. Sind wirklich alle medizinische Therapien ausgeschöpft? Welche Gefühle und Gedanken verbindet der Patient mit seinem Schmerz? Hat er Strategien, um sich davon abzulenken? Was könnte ihm die Angst vor regelmäßiger Bewegung nehmen? Macht die Patientin Fortschritte beim Entspannungstraining? Wie könnten Verwandte und Freunde die Frau unterstützen, die sich neben ihrer Familie seit Jahren um ihre kranke Mutter kümmert? Wäre eine Umschulung sinnvoll, um sie beruflich zu entlasten?

Aus medizinischen Untersuchungen, Fragebögen, Gesprächen und Verhaltensbeobachtungen entsteht ein persönlicher, vierwöchiger Therapieplan, den die Fachleute im Verlauf der Reha immer wieder anpassen können. „Alle unsere Patienten nehmen an Angeboten aus den Modulen Bewegung und Physiotherapie, Psychotherapie sowie sozialer Beratung teil“, sagt Goldau. „Aber die inhaltlichen Schwerpunkte sind individuell.“ Wissensvorträge ergänzen das Spektrum. Denn nur wenn die Patienten ihre Erkrankung und den Sinn der Therapiebausteine wirklich verstehen, werden sie das Gelernte auch zu Hause im Alltag dauerhaft um setzen, so die Erfahrung.

Bewegung und Belastung: Das richtige Maß finden

Um irgendeine Form von Sport kommt man nicht herum – ein Risikofaktor für die Chronifizierung von Schmerzen ist Bewegungsmangel. „Deshalb ist es so wichtig, durch gezieltes körperliches Training Muskeln wieder auf- und Fehlhaltungen abzubauen“, erklärt Chefarzt Tischendorf. Zusätzlich helfen Physiotherapeuten, über Jahre aufgebaute Verspannungen zu lösen. 

Regelmäßige Bewegung hat weitere positive Effekte: Sie fördert die Durchblutung des Gewebes, regt den Abbau von Stresshormonen und die Ausschüttung von Endorphinen an. All dies kann Entzündungsprozesse, Verspannungen und damit auch Schmerzen lindern. „In der Bewegungstherapie suchen wir individuell nach Möglichkeiten, damit die Patienten Aktivttät wieder als schmerzfrei und positiv erleben“, sagt Tischendorf. „Manche finden diese Momente bei Wassergymnastik oder Schwimmen, andere bei einem begleiteten Spaziergang im Park, den sie sich jahrelang nicht zugetraut haben.“ Gymnastik im Solebad, Nordic Walking, Yoga oder auch Bewegungsspiele wie Federball gehören in der Frankenland-Klinik zum Angebotsspektrum. Nicht immer ist Schonung das Problem. Manchmal verstärkt genau das gegenteilige Verhalten die Qualen. Nach dem Motto „Augen zu und durchhalten“ nehmen einige Patienten den Schmerz als Warnsignal ihres Körpers zu lange hin, ohne sportliche und körperliche Belastungen zu reduzieren. So können Entzündungen nicht ausheilen und Verspannungen durch Überlastung entstehen. „Für diese Menschen ist es hilfreich zu lernen, Belastungsgrenzen wahrzunehmen, Erholungspausen einzuplanen und allgemein achtsamer mit dem eigenen Körper umzugehen“, sagt Goldau.

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Gefühle, Gedanken, Verhalten: Psychologische Muster durchbrechen

Der individuelle Umgang mit Schmerz ist ein zentrales Thema in den psychologischen Therapiebausteinen. Einzelgespräche stehen einmal pro Woche für alle Rehabilitanden auf dem Therapieplan, Gruppensitzungen mehrmals. „Wir wollen herausfinden, welche Verhaltensweisen und Gedankenmuster das persönliche Schmerzerleben verschlimmern“, so Goldau. „Und Strategien entwickeln, mit denen sich die Patienten durch ihr eigenes Zutun besser fühlen können.“ 

Schmerzreize und unangenehme Gefühle würden im Gehirn in ähnlichen, sich überlappenden Arealen verarbeitet. „Das erklärt, warum negative Emotionen wie Stress, Angst, Wut oder Traurigkeit eng mit körperlichen Schmerzen verknüpft sind und weshalb sich beides gegenseitig beeinflussen kann“, so Goldau.

Ulrike Kaiser, leitende Psychologin am Schmerzzentrum des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (Lübeck), beschäftigt sich seit Jahren auch wissenschaftlich mit der Frage, wie man chronischen Schmerzen mit multimodalen Therapieangeboten begegnen kann. Unter anderem hält sie die Arbeit an negativen Gedankenmustern für wichtig. „Wird der Schmerz dauerhaft als furchtbares, unkontrollierbares Schicksal bewertet, dem man hilflos ausgeliefert ist, steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Angststörung oder Depression“, sagt die Psychotherapeutin. „Diese psychischen Erkrankungen steigern wiederum das Risiko, dass Schmerzen chronifizieren.“ Patienten könnten lernen, durch eine neutralere Bewertung ihres Schmerzerlebens selbst Einfluss auf ihr Schmerzempfinden und ihre Lebensfreude zu nehmen. „Es geht darum, das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu stärken“, so Kaiser.

Eine große Rolle spielt dabei die Aufmerksamkeitslenkung. Genauso wie man in der Lage ist, bei einem Gespräch im Restaurant Unterhaltungen anderer auszublenden und sich nur auf die Stimme des Gegenübers zu konzentrieren, kann man auch bei Schmerzsignalen „hinhören“ oder „weghören“. „Je öfter und aufmerksamer wir den Fokus auf den Reiz lenken, desto sensibler reagiert unser Gehirn darauf“, sagt Kaiser. Die subjektive Schmerzempfindung und das Bedrohlichkeitserleben würden stärker.

Körper und Psyche im Dauerstress: Entspannung lernen

Auch deshalb ist Entspannungstraining ein wichtiger Baustein der multimodalen Schmerztherapie. „Viele Betroffene haben nach jahrelangem Dauerschmerz die Fähigkeit verloren, zur Ruhe zu kommen, muskulär und psychisch“, weiß Elke Goldau. „Eine Patientin war sich zum Beispiel sicher: ‚Ich relaxe, wenn ich auf dem Sofa liege und Musik höre.‘ Als wir dabei aber ihre Muskelspannung und die Herzfrequenz gemessen haben, wurde klar: Ihr Körper lässt beim Musikhören gar nicht locker.“ 

Biofeedback kann Schmerzpatienten helfen, wieder ein Gefühl für den eigenen körperlichen Zustand zu bekommen. Bei dieser Methode geben physiologische Messungen von Herzfrequenz, Muskelspannung oder Hirnströmen Rückmeldung über körperliche Prozesse, die normalerweise unbewusst ablaufen. „Das Feedback bekommen die Patienten bei uns nicht über trockene Datenkurven“, erklärt Chefarzt Tischendorf. „Moderne Computersoftware übersetzt zum Beispiel den Muskeltonus in die Frequenz des Flügelschlags eines bunten Schmetterlings. Wie in einem Videospiel soll der Patient dann vor einem Bildschirm üben, den Flügelschlag zu verlangsamen und den Schmetterling auf einer Blume zu landen – indem er seine Muskeln bewusst ansteuert und lockerlässt.“

Zusätzlich können Patienten in der Frankenland-Klinik unterschiedliche Entspannungstechniken testen und trainieren: von Gedankenreisen über progressive Muskelrelaxation bis Qigong. „Wir unterstützen bereits vor Ort, wie das auch im Alltag umsetzbar wird“, betont Tischendorf. Im Job könne man sich nicht für 15 Minuten Yoga auf den Boden legen. „Deshalb erklären wir Entspannungsübungen im Sitzen auf dem Bürostuhl.“ Wirksame Schmerztherapie höre nicht an der Kliniktür auf. „Sie bedeutet dauerhafte Veränderungen in Denkmustern, Verhalten und der Lebensorganisation.“

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Das Ziel: Lebensqualität zurückgewinnen

Auf allen drei Ebenen – körperlich, psychisch und sozial – vermittelt die Reha Strategien, mit denen Patienten ihre Schmerzbelastung individuell und eigenständig mindern können. Nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe ist ein Kernstück des Konzepts. Vielen helfe der vierwöchige stationäre Aufenthalt sehr, sagt Goldau. Oft sind die Betroffenen während der Zeit in der Klinik erstmals komplett von allen Alltagsverpflichtungen und -themen befreit und können sich ganz auf sich selbst konzentrieren.

„Viele merken erst mit Abstand, wie überlastet sie eigentlich zu Hause sind, wie viel sie sich um andere kümmern, aber nicht um sich selbst“, so Goldau. „Und wie sehr sie ihre Bedürfnisse dem Schmerz unterordnen und aufgegeben haben, was ihnen Freude macht.“ Im Idealfall gehen die Patienten mit der Erkenntnis nach Hause: Der Schmerz wird vielleicht nie ganz verschwinden. Aber ich habe es selbst in der Hand, wie viel „Lebens-Raum“ ich ihm überlasse. Und wie viel ich mir zurückerobere.

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