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Eine kurze Wischbewegung über den Handybildschirm, ein Match – und wenig später: ein heißer Flirt. Dating-Apps wie Tinder und Bumble haben das Liebesleben von Millionen Menschen verändert. Ist die nächste Bekanntschaft eine Fingerspitze entfernt, wird die Partnersuche schneller, bequemer, manchmal unverbindlicher. Doch gerade kurze Beziehungen hinterlassen nicht selten bleibende Andenken: etwa in Form von Chlamydien, Gonokokken oder Herpesviren.
Experten zufolge tragen Online-Partnerbörsen dazu bei, dass die Zahl der sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) unter Erwachsenen in Deutschland und der westlichen Welt steigt. „Digitale Medien haben die Möglichkeit, sexuelle Begegnungen anzubahnen, enorm beschleunigt. Und mit der Zahl der intimen Kontakte wächst das Risiko, entsprechende Erreger aufzuschnappen“, sagt Norbert Brockmeyer, Hautarzt und Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft.
Sex-Krankheiten treffen auch die Boomer
Die Zunahme betrifft – mit Ausnahme von HIV – so gut wie alle Geschlechtskrankheiten. Rund 30 verschiedene STIs können bei ungeschütztem Sex übertragen werden. Am gefährlichsten sind HIV und Syphilis, am häufigsten Tripper und Chlamydien-Infektionen. Letztere gehen auf Bakterien zurück, die allein in Deutschland jährlich schätzungsweise 300.000 Neuansteckungen verursachen. Genaue Zahlen fehlen, da keine bundesweite Meldepflicht existiert.
Zweithäufigste sexuell übertragbare Erkrankung ist die Gonorrhö, also der Tripper. In Sachsen – dem einzigen Bundesland mit Labormeldepflicht für diese STI – stieg die Ansteckungsrate zwischen 2001 und 2019 um das Zehnfache. Bundesweit liegt die Zahl der jährlichen Neuinfektionen mit dem Bakterium Neisseria gonorrhoeae schätzungsweise bei etwa 30.000.
Anfällig für Geschlechtskrankheiten sind längst nicht nur die klassischen Risikogruppen: also Männer, die Sex mit Männern haben, junge Menschen oder Sexarbeiterinnen „Wir sehen in unserem Beratungszentrum immer mehr Hetero - sexuelle in der Altersgruppe über 55 Jahre. Das Vergnügen am Sex endet schließlich nicht mit 60 Jahren“, berichtet Brockmeyer aus seiner Tätigkeit als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. „Meine älteste Patientin mit Syphilis war eine 82-jährige Dame.“ Diese Erkrankung, die unbehandelt schwere Organschäden verursachen kann, tritt mit 8.309 gemeldeten Infektionen im Jahr 2022 zwar eher selten auf. Sie nimmt aber ebenfalls zu: Seit dem Jahr 2000 haben sich die Fallzahlen laut Robert Koch-Institut verzehnfacht.
Safer Sex dank Schutzimpfung
Einige sexuell übertragbare Infektionen (STIs) lassen sich per Impfung verhindern.
- Die HPV-Impfung schützt vor der Ansteckung mit humanen Papillomviren. Diese verursachen nicht nur Gebärmutterhalskrebs, sondern u. a. auch Anal-, Mund- oder Kehlkopfkrebs. Die Impfung sollte vor dem ersten Sex durchgeführt werden.
- Die Impfung gegen Hepatitis A und B wird Personen mit häufig wechselnden Sexpartnern empfohlen. Sie schützt vor einer schweren Lebererkrankung.
- Forscher hoffen, auch gegen Gonorrhö und Chlamydien Impfstoffe zu entwickeln. Erste Studien laufen.
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Bei Safer Sex haben Ältere Nachholbedarf
Anders als experimentierfreudige Jüngere, die gewandt mit Kondomen oder Lecktüchern hantieren, fehlt der Ü50-Generation häufig die Routine beim Safer Sex. Brockmeyer: „Wer 20 oder 30 Jahre lang in einer festen Beziehung gelebt hat, dem kommt zudem leicht das Schutzbewusstsein abhanden, wenn er sich nach einer Scheidung wieder in fremden Betten tummelt.“ Der Umstand, dass das Thema Verhütung sich mit der weiblichen Menopause erledigt, trägt ebenfalls dazu bei, auf Präservative zu verzichten.
Experten empfehlen deshalb auch älteren Menschen, die wechselnde Sexualpartner haben, einen regelmäßigen Test auf STIs. Die Untersuchung wird von Dermatologen, Urologen, Gynäkologen und manchen Hausärzten angeboten. Der rein vorsorgliche Abstrich der Schleimhäute sowie der Check von Urin- oder Blutproben sind allerdings nicht immer Kassenleistungen. Je nach Anzahl der getesteten Infektionen können die Kosten leicht bei 100 Euro und mehr liegen.
„Zudem ist die entsprechende Diagnostik in Deutschland leider nicht so gut etabliert wie in anderen Ländern, wo es spezielle Zentren für sexuell übertragbare Krankheiten gibt“, bedauert Jürgen Rockstroh, Leiter der Ambulanz für Infektiologie und Immunologie des Universitätsklinikums Bonn. „Wer etwa bei einem Dermatologen einen Termin benötigt, muss als Kassenpatient leicht mal ein halbes Jahr warten. Dabei sind die Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten eigentlich die berufenen Experten für diese Gesundheitsprobleme.“
Eine Alternative zum STI-Check bei niedergelassenen Ärzten bieten Gesundheitsämter. An diesen Einrichtungen kann mn sich nicht nur anonym auf eine HIV-Infektion testen lassen, sondern oft auch auf Tripper, Syphilis, Chlamydien oder Hepatitis B und C. Daneben geben auch bestimmte Heimtests Aufschluss über eine Ansteckung.
"Heimtests können hilfreich sein"
Angesteckt? STI-Testkits versprechen schnelle Antwort. Worauf Anwender achten sollten
Prof. Norbert Brockmeyer, der Hautarzt und HIV-Forscher ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für sexuelle Gesundheit
© Simon Siewert / WIR
Grundsätzlich sind solche Tests durchaus hilfreich für Menschen, die sich zum Beispiel aus Scham nicht trauen, ihren Arzt um die Untersuchung zu bitten. Man muss allerdings wissen, dass bei einem positiven Resultat nicht in jedem Fall eine Infektion vorliegt.
Der Heimtest auf HIV ist sehr zuverlässig. Er lässt sich ohne Labor bestimmen; ein Tropfen Blut genügt als Testflüssigkeit. Das Ergebnis muss aber immer durch einen zweiten Test bestätigt werden. Auf der Homepage des Paul-Ehrlich-Instituts finden Interessierte qualifizierte Anbieter.
Der Test auf Syphilis ist ebenfalls treffsicher. Er verrät jedoch nicht, ob wirklich eine behandlungsbedürftige Infektion besteht. Werden Syphilis-Antikörper gefunden, muss ein Arzt klären, ob die Infektion noch akut oder schon ausgeheilt ist.
Die Heimtests auf Gonokokken oder Chlamydien liefern nicht so zuverlässige Ergebnisse wie etwa der HIV-Test. Am besten lässt man sich beim Kauf in der Apotheke beraten. Grundsätzlich gilt: Tests mit Laborauswertung sind in der Regel exakter als Tests mit Sofortergebnis. Und wenn ein Ergebnis positiv ist, sollte man in jedem Fall einen Arzt um eine Beratung und Behandlung bitten.
Interview: Bernhard Hobelsberger
Der STI-Test ist auch deshalb sinnvoll, weil Geschlechtskrankheiten nicht immer Beschwerden auslösen. Solche Krankheitszeichen äußern sich klassischerweise als Schmerzen oder Brennen beim Wasserlassen, Jucken, Veränderungen an Haut und Schleimhäuten oder als auffälliger Ausfluss aus Scheide oder Penis. Bei einer genitalen Ansteckung mit Chlamydien beispielsweise verspüren aber lediglich 20 Prozent der betroffenen Frauen und 50 Prozent der Männer derlei Anzeichen. „Viele merken demnach gar nicht, dass sie sich angesteckt haben, und übertragen die Erreger, ohne es zu ahnen“, so Infektiologe Rockstroh.
Abgesehen von der unbeabsichtigten Weitergabe kann eine verzögerte Behandlung dazu führen, dass sich die Keime im Körper ausbreiten und weitere Organe befallen. Der Erreger der Gonorrhö kann unbehandelt Entzündungen der Gelenke, des Auges und des Herzes auslösen, aber auch eine dauerhafte Unfruchtbarkeit zur Folge haben. Chlamydien-Infektionen lösen bei Frauen in seltenen Fällen Unfruchtbarkeit aus, wenn die Eileiter durch entzündliche Prozesse verkleben.
Oft lassen sich STIs komplett heilen
Glücklicherweise sind die Heilungschancen bei vielen STIs gut, wenn sie rechtzeitig erkannt werden. Pilzinfektionen werden mit pilzabtötenden Mitteln bekämpft, Parasiten mit Antiparasitika. Bei einer Chlamydien-Infektion schluckt man in der Regel das Antibiotikum Doxycyclin als Tabletten. Auch bei Gonorrhö und Syphilis sind Antibiotika Mittel der Wahl. „In Fachkreisen wird gerade lebhaft diskutiert, ob Menschen, die sich sehr häufig mit STIs anstecken, Doxycyclin nicht sogar prophylaktisch nach dem Sex einnehmen sollten. In Studien zeigte sich ein Rückgang bei Syphilis und Gonorrhö“, sagt Rockstroh.
Virale Geschlechtskrankheiten hingegen sind meistens nicht heilbar. Sie können jedoch zum Erliegen gebracht werden. Beim weitverbreiteten Genitalherpes, verursacht durch das Herpes-simplex-Virus, helfen Tabletten mit den Wirkstoffen Aciclovir, Famciclovir oder Valaciclovir, den schmerzhaften Ausschlag rascher abklingen zu lassen. Spektakulär sind die Erfolge, die die Medizin bei HIV-Infektionen erreicht hat. Jürgen Rockstroh: „Antiretrovirale Medikamente hemmen die Vervielfältigung der einst tödlichen Erreger an unterschiedlichen Stellen des Vermehrungszyklus. Menschen, die HIV-positiv sind, genießen auf diese Weise eine annähernd normale Lebenserwartung. Und sie können niemanden mehr anstecken, wenn die Virusvermehrung erfolgreich unterdrückt ist.“