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Hilfe für Long Covid-Patienten: Therapien und Anlaufstellen

Erschöpfung, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten: Die Corona-Infektion ist überstanden, aber etliche Patienten leiden unter neurologischen Problemen. Wie Experten helfen.

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Junge Frau hält Mund-Nasen-Schutz an beiden Gummibändern fest und hält sich ihn vor Mund und Nase

© Shutterstock

Die Morgensonne strahlt durch das Fenster, feine Kätzchenzweige in der Vase machen Vorfreude auf Frühling. Trifft man Ina Hoesch digital auf Zoom, sieht es nach einem ganz normalen Arbeitsmeeting aus. Weiße, gebügelte Bluse, braune Brille, gepflegte halblange Haare, aufmerksamer Blick. Doch die 50-Jährige war schon seit vielen Monaten nicht mehr im Job. Seit vergangenem Frühling dreht sich das Leben der Arzthelferin fast ausschließlich um die Fragen: Wie geht es mir heute und wie geht es weiter?

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In der ersten Pandemiewelle infizierte sich die Düsseldorferin mit Corona. Seither reihen sich immer neue Beschwerden aneinander wie Perlen auf einer Kette: Schmerzen auf der Lunge, in den Muskeln, im Gesicht. „Mein rechtes Bein fühlt sich wie ein Betonklotz an, ich kann es kaum heben“, erzählt Hoesch. Der Kopf schwirrt vor Schwindel und Schmerz. Sie kann sich schwer konzentrieren.

An Schlaf ist nachts nicht zu denken. Immer wieder tritt hohes Fieber auf. Eine Weile hing ihr linkes Augenlid schlaff herunter, später das rechte. Gelegentlich muss Ina Hoesch beim Reden nach einfachsten Wörtern suchen.

Mehrmals wird die Mutter zweier Kinder ins MRT geschoben, ihr Hirnwasser untersucht. Sie verbringt einige Tage in Kliniken und mehrere Nächte in der Notaufnahme. Doch all die neurologischen Untersuchungen mündeten letztlich nicht in einer Therapie. „Ich war auch nervlich irgendwann am Ende“, sagt die Rheinländerin.

Bei Recherchen im Netz stößt Hoesch auf die Selbsthilfegruppe „Langzeitcovid.de“. Mit den Leidensgenossen kann sie sich endlich austauschen. Eine Unterstützung, die sie dringend braucht. „Bis dahin kannte ich niemanden, der Ähnliches erlebt hat. Das hat mich total überfor- dert“, sagt Hoesch. Getragen von der Gruppe entwickelt sie allmählich neuen Lebensmut.

Long-Covid: Jeder zehnte Genesene hat dauerhafte Beschwerden

Mehr als ein Jahr Pandemie zeigt: Die meisten Infizierten überstehen den Angriff der Corona-Viren ohne schwere Komplikationen und ohne bleibende Folgen. Etwa jeden Zehnten aber setzt Sars-CoV-2 längere Zeit außer Gefecht. Das Virus lässt sich nach wenigen Wochen nicht mehr nachweisen – aber die Patienten sind noch immer nicht gesund. Von den schwer an Covid Erkrankten litten einer chinesischen Studie zufolge drei Viertel nach sechs Monaten noch unter mindestens einem Symptom. Auch Genesene mit unkompliziertem Krankheitsverlauf trifft es – selbst junge und fitte Menschen.

Fast fünf Milliarden Treffer erzielt das Stichwort „Long Covid“ bei Google. Das Interesse an dem Phänomen ist groß. Die Angst, nach einer Infektion lange oder gar dauerhaft unter Krankheitssymptomen zu leiden, auch.

Ärzte kennen das Phänomen. Neurologische Langzeitbeschwerden, also Symptome, die länger als zwölf Wochen anhalten, treten auch in der Folge von anderen Viren-, Bakterien- und Pilzinfektionen auf. Es bestehen gute Chancen, dass die Einschränkungen wieder verschwinden, versichern Experten. Meist vor Ablauf von sechs Monaten, bevor die Beschwerden als chronisch gelten.

Long Covid-Betroffene klagen häufig über eine andauernde tiefe Erschöpfung, die sogenannte Fatigue. Zudem treten Schmerzen in unterschiedlichen Körperteilen auf sowie zuvor nicht gekannte Probleme mit der Konzentration. Die Patienten fühlen sich schlapp, sind kurzatmig, haben Haarausfall.

Als besonders irritierend empfinden Betroffene demenz-ähnliche Erscheinungen. Sie können sich nicht erinnern, was sie eine Stunde zuvor gegessen haben. Oder sie vergessen, dass sie in die Küche gegangen sind, um sich einen Tee zu machen. Experten prägten dafür den Begriff „Hirnnebel“ (englisch: „brain fog“).

Die häufigsten neurologischen Probleme nach einer überstandenen Covid-Infektion

58 % der Patienten leiden an Erschöpfung

44 % Kopfschmerzen

27 % Aufmerksamkeitsstörungen

25 % Haarausfall

24 % Atemnot, Kurzatmigkeit

 

Quelle: „The Lancet“

„Die Patienten leiden unter den neurologischen Einschränkungen, denn diese verändern das Leben entscheidend“, sagt Harald Prüß, Oberarzt der Klinik für Neurologie und Experimentelle Neurologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Viele seiner Patienten kommen aus anspruchsvollen Berufen, tragen Führungsverantwortung und haben Familie. Vor der Corona-Infektion standen sie voll im Leben. Long Covid schränkt sie schwer ein.

Unser Experte für Neurologie

Harald Prüß, Oberarzt der Klinik für Neurologie und Experimentelle Neurologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

Wer Langzeitfolgen entwickelt, lasse sich nicht vorhersagen, so Prüß. Neurologische Folgebeschwerden nach Infektionskrankheiten kennt der Berliner Neurologe durchaus. „Vergleichbares sehen wir nach Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus, dem Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Auch kommen solche Probleme nach Erkrankungen durch Herpes- oder Enteroviren vor. Die von Sars-CoV-2 verursachten Folgeprobleme sind allerdings deutlich häufiger als nach anderen Infektionen“, sagt Prüß.

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Long-Covid: Behandlungskonzept

Eine gezielte Therapie bei Long Covid gibt es bislang nicht. Daher setzt Prüß auf Behandlungskonzepte, mit denen er bei anderen Infektionskrankheiten gute Erfahrungen gemacht hat. Wichtig sei, dass die Betroffenen aktiv bleiben, auch wenn dies aufgrund der Erschöpfung schwerfällt.

„Bei den Patienten, die sich geistig und körperlich bewegen, beobachten wir kontinuierliche Fortschritte“, sagt Prüß. Eine italienische Studie zeigt: Fatigue trifft während der akuten Infektion 80 von 100 Erkrankten. Zwei Monate später fühlt sich noch jeder Zweite massiv erschöpft. Nach Ablauf von sechs Monaten ist der Zustand bei den meisten überwunden. Aber eben nicht bei allen.

Einzelne Kliniken haben sogenannte Long-Covid-Ambulanzen eröffnet. Hierher kommen Patienten, deren Folgebeschwerden ein halbes Jahr nach der Corona-Infektion noch immer bestehen. „Einigen Patienten geht es mit Immunglobulinen und Kortison besser“, sagt Prüß, der an der Berliner Charité die entsprechende Ambulanz leitet.

Bei anderen helfen eher allgemeine Behandlungsansätze wie Ergo- und Physiotherapie. Die Übungen trainieren Kraft und Koordination und Feinmotorik. Konzentration und Nervenfunktionen werden gestärkt. Überlastung sollten Long-Covid- Patienten jedoch unbedingt vermeiden und sich zugestehen, dass sie nur langsam in ihren gewohnten Alltag zurückkehren können.

Auch mentaler Stress kann Schübe auslösen, welche die Beschwerden verschlimmern. Daher empfehlen Experten den Betroffenen, Entspannungstechniken einzuüben und anzuwenden.

 

FOCUS-GESUNDHEIT 05/21

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Gehirn und Nerven von FOCUS-GESUNDHEIT. Weitere Themen: Neue Antikörper-Therapien gegen Migräne. Parkinson könnte bald heilbar sein. U.v. m.

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Long-Covid: Selbsthilfeinitiativen

Spezialisierte Anlaufstellen wie die Berliner Long Covid-Ambulanzen sind deutschlandweit selten. Daher haben sich mehr als 3.000 Betroffene in der bundesweiten Initiative „Langzeit-Covid“ zusammengeschlossen.

„Vor allem unterstützen wir uns gegenseitig mental“, sagt Thomas Thielen. Der Unternehmer engagiert sich seit etlichen Monaten in der Selbsthilfegruppe. „Wir sind ein Anlaufpunkt für viele Verzweifelte, wir tauschen uns aus, nehmen uns gegenseitig Ängste und reichen nützliche Adressen weiter.“ Gerade bei einer Krankheit, zu der es noch so viele offene Fragen und wenig Erfahrungswerte gebe, sei ein solches Netzwerk extrem wichtig (Corona-Selbsthilfegruppen im Bundesgebiet unter www.nakos.de).

Der Familienvater hatte sich im Maärz vergangenen Jahres beim Skiurlaub in Österreich mit dem Virus angesteckt und erkrankte schwer. Seither leidet der 41-Jährige unter einer Vergesslichkeit, die für ihn kaum erträglich ist. „Als Vertriebler war meine hervorragende Erinnerungsgabe mein wichtigstes Werkzeug“, sagt Thielen. „Plötzlich ist alles weg. In der Reha konnte ich mir noch nicht mal den Therapieplan merken.“

Der einst sportliche Mann bewegte sich mit Trippelschritten über die Flure diverser Kliniken, in denen er insgesamt mehr als ein halbes Jahr verbrachte. Gleichgewichtsprobleme plagten ihn, dann war plötzlich eine Körperhälfte gelähmt. Irgendwann fuülte er nur noch Angst.

Noch immer ist Thielen total erschöpft und arbeitsunfähig. Durch das Medikament Kortison hat er 30 Kilo Gewicht zugelegt. „Ich muss akzeptieren, dass ich nie wieder der Alte sein werde“, sagt er.

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In der Entwicklung Immuntherapien und Magnetstimulation bei Long-Covid

Dennoch bleibt Thielen zuversichtlich. Derzeit probiert er etwas Neues aus. Täglich sitzt er zwei Stunden in einer Druckkammer. „Das ist eine experimentelle Sache, aber mir hilft es“, ist er überzeugt. „Neulich habe ich es geschafft, einen ganzen Roman zu lesen.“ Die Behandlung in der Druckkammer stammt aus der Tauchmedizin. Die Patienten befinden sich in einem abgeschlossenen Raum, in dem höherer Druck besteht als in der natürlichen Umgebung. Dort atmen sie hundertprozentigen Sauerstoff ein. Thielen bezahlt die Maßnahme selbst, er vertraut auf den Erfolg.

Ursachen der neurologischen Probleme bei Long-Covid

Für eine passgenaue, wirksame Therapie müssen Experten erst einmal die Ursachen der neurologischen Probleme verstehen. Fest steht bisher: Es gibt nicht den einen Grund, der die Kaskade der Beschwerden verursacht. Vielmehr scheinen Veränderungen des Stoffwechsels, der Hirnfunktion sowie eine Dysregulation im Immunsystem zusammenzuwirken. „Die Long Covid-Symptome gehen wahrscheinlich auf mehrere Mechanismen zurück“, sagt Friedemann Paul, Leiter des Experimental and Clinical Research Center der Charité und des Max Delbrück Centrums für Molekulare Medizin. Dort arbeitet Paul an einem Forschungsprojekt zu Long-Covid.

 

Nach der akuten Infektion kommt die Abwehr anscheinend nicht mehr zur Ruhe. Fortdauernde Entzündungsvorgänge belasten den Körper. Dabei aktiviert das Immunsystem unter anderem Botenstoffe, die bei Infektionen oder Autoimmunreaktionen ausgeschüttet werden. Zudem gibt es erste Hinweise, dass die innere Schicht der Gefäße, das sogenannte Endothel, beschädigt wird. Hierdurch kann es zu einer Störung der Durchblutung kommen, wovon auch die kleinen Hirngefäße betroffen sein können.

 

„Derzeit erforschen wir, ob die Entzündung zu einer gestörten Hirnkonnektivität führt“, sagt Paul. Mit diesem Begriff beschreiben Mediziner die Zusammenarbeit der verschiedenen Gehirnareale. Beim Vorlesen etwa liest man Buchstaben, erkennt Wörter und spricht diese aus. Der visuelle Cortex arbeitet mit dem Sprachzentrum zusammen. „Eine gestörte funktionelle Konnektivität könnte eine Ursache für Fatigue sein“, sagt der Neuroimmunologe.

Verschiedene Therapieansätze sind denkbar. „Das könnten sowohl spezielle Immuntherapien sein, Medikamente gegen die Gefäßschäden oder Magnetstimulationsverfahren zur Verbesserung der Hirnkonnektivität“, so Paul. Erste Studien für solche Behandlungen sind in Vorbereitung.

Auf diese neuen Therapien kann die Patientin Ina Hoesch nicht warten. Sie setzt auf die klassischen Möglichkeiten, um die Beschwerden in den Griff zu bekommen: Mehrmals pro Woche geht sie zu Ergo- und Neuraltherapie – und ganz langsam fühlt sie sich besser.

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