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Arthrose-Forschung: Ist Heilung in Sicht?

Fünf Millionen Deutsche kämpfen mit Gelenkschäden in Knie und Hüfte. Bislang gilt ihr Leiden als unheilbar. Nun suchen Berliner Forscher neue Behandlungswege gegen Arthrose.

Veröffentlicht: 2019-04-15T10:19:21+02:00

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Inhaltsverzeichnis
Neue Behandlungsmethoden bei Arthrose: Entwicklung von Knorpelersatz im Labor

© Sven Döring für FOCUS-Gesundheit

Was ist Arthrose?

Wer Arthrose heilen möchte, der kriegt es mit einem widerspenstigen Gegenüber zu tun. Er trifft auf störrische Einsiedler, die sich in winzigen Knorpelhöhlen verbergen: ohne direkte Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen, weitgehend abgekapselt von anderen Zellen. Selbst ihrer vordringlichsten Aufgabe, der Produktion von schützendem Gelenkknorpel, kommen diese Sonderlinge nur mehr lustlos nach, sobald die Wachstumsphase des Organismus beendet ist. Stattdessen kann es passieren, dass die Zellen minderwertigen Knochenüberzug fabrizieren – oder schlimmer noch: Sie schütten Enzyme aus, die den vorhandenen Puffer abbauen.

Leidtragende dieser Eigenart sind die fünf Millionen Bundesbürger, die laut Deutscher Arthrose-Hilfe an Knorpelschäden leiden. Vor allem Knie, Hüfte und Hände trifft die Erkrankung; sie kann aber auch in allen anderen Körperscharnieren auftreten. In der Regel läuft der Abbau der Gleitschicht jahrelang stumm ab, bis das gestörte Reibungsverhalten im Gelenk Probleme bereitet: Schmerzen, Entzündungen, Schwellungen und Bewegungseinschränkungen. Bringen Krankengymnastik und Tabletten keine Linderung mehr, setzen Ärzte in der Regel ein neues Hüft- oder Kniegelenk ein. Arthrose ist der häufigste Grund für Gelenkersatz.

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Der Aufbau des Knorpels

Infografik zum strukturellen Aufbau des menschlichen Knorpels

© Focus Gesundheit

Der druckelastische, hyaline (durchscheinende) Knorpel besteht nur zu fünf Prozent aus Knorpelzellen. Die runden Chondrozyten unterhalten die sogenannte Matrix: ein dichtes Netzwerk aus Kollagenfasern und Proteoglykanen, also Zucker-Eiweiß-Verbindungen. Erstere liefern Formstabilität und Zugfestigkeit. Letztere binden Wasser und sorgen für Elastizität.

Wissenschaftler betreten Neuland in der Arthrose-Forschung

Wie also motiviert man träge Knorpelzellen, belastbaren Gelenkpuffer zu fabrizieren? Diese Frage stellt sich Max Löhning, 49, Leiter des von der Willy-Robert-Pitzer-Stiftung geförderten Labors für Arthrose-Forschung auf dem Charité-Campus in Berlin-Mitte. Zusammen mit seiner Arbeitsgruppe aus zwei Dutzend Wissenschaftlern, Doktoranden und Assistenten tüftelt der Immunologe daran, den Chondrozyten-Code zu knacken und Arthrose auf lange Sicht zu heilen.

Dabei betritt Löhning Neuland. Der Professor, der mit Slim Jacket und Vintage-Brille kaum älter wirkt als seine Doktoranden, sucht gezielt nach molekularen Schaltern in den Knorpelzellen, mit denen sich die Regeneration der winzigen Körperbausteine anknipsen lässt. „Wir wissen, dass man in die Prozesse innerhalb von Zellen eingreifen kann“, erklärt er in seinem Büro im dritten Stock des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums, einem Laborgebäude mit Glas-Backstein-Front. „Aus diesem Grund hoffen wir, dass sich Knorpelzellen, die ein ,schlechtes‘ Produkt herstellen, umprogrammieren lassen, um wieder langfristig tragenden Knorpel zu produzieren.“ 

Löhnings Forschungsansatz bedeutet die teilweise Abkehr von der gängigen Theorie, die Arthrose als bloßen Verschleiß begreift. Lebensalter und mechanische Belastung erklären das Problem seiner Ansicht nach nur unzureichend. „Sonst müssten Menschen mit ähnlichem Geburtsjahrgang und vergleichbarem Bewegungsumfang auch ähnliche Symptome entwickeln.“ Auch das Auftreten der Arthrose in den Fingergelenken lässt sich kaum mit Gewichtsbelastung erklären.

Max Löhning, 49, Molekularbiologe und Leiter des  Pitzer-Labors für ArthroseForschung in Berlin

© Sven Döring für FOCUS-Gesundheit

Max Löhning, 49, Molekularbiologe und Leiter des Pitzer-Labors für ArthroseForschung in Berlin

»Die Abläufe in den Zellen  kann man steuern. Hier liegt unsere Chance, Arthrose zu stoppen.«

 

Die Hypothese der Berliner Forscher lautet vielmehr, dass sich die Chondrozyten ähnlich verhalten wie bestimmte Zellen des Immunsystems. So wie Stress die Aktivität dieser T-Lymphozyten beeinträchtigt, so sinke bei Belastung die Fähigkeit der Knorpelzellen, tragfähigen Gelenkpuffer herzustellen. Mögliche Auslöser solcher Fehlentwicklungen seien mechanische Überlastung, etwa durch Übergewicht, aber auch Verletzungen, bestimmte Gene oder niederschwellige Entzündungen. Solche Dinge setzen die Gleitschicht im Gelenk derart unter Stress, dass die Zellen aus der Bahn geraten. Die Chondrozyten produzieren aggressive Enzyme, steuern in den Zelltod oder bilden plötzlich knöchernes Material.

Zum neuen Verständnis der Arthrose gehört, dass es sich um eine Krankheit des ganzen Organs  handelt. Deshalb studieren die Zellspezialisten neben dem Knorpel auch andere Gelenkbestandteile: etwa Synovialflüssigkeit, Knochen und die Hoffa-Fettkörper hinter der Kniescheibe. Die Proben erhalten sie aus den Knie-OPs, die die klinischen Kollegen der benachbarten Charité vornehmen. Indem sie die Gewebe von jungen und alten Patienten, aber auch von gesunden Menschen analysieren, verfeinern Löhning und seine Kollegen ihr Wissen darüber, was bei Arthrose im Gelenk schiefläuft. So helfen die Patienten von heute dabei, die Krankheit morgen zu heilen.

Wobei man wohl eher von „übermorgen“ sprechen sollte. Eine denkbare Therapie wird kaum vor 2030 auf den Markt kommen, schätzen die Experten. Denn noch sind viele Regulationsmechanismen und Signalwege innerhalb der Chondrozyten kaum verstanden. Und das liegt nicht nur am Eremitendasein dieser Zellen. Sondern auch daran, dass sie ihre biologischen Eigenschaften verändern, sobald man sie aus dem gewohnten Lebensraum im Gelenk löst, etwa um ihre Oberflächenstrukturen zu bestimmen. „Das verfälscht die Ergebnisse“, bedauert Löhning.

Immerhin: Die Berliner Biologen sind heute bereits weltweit führend in der Technik, Chon­drozyten im Originalzustand zu isolieren und zu analysieren. Beispielsweise benutzen die Forscher spezielle Sterilwerkbänke, in denen sie die Druckverhältnisse und die Sauerstoffarmut nachahmen, wie es die Knorpelzellen aus ihrer Matrix gewohnt sind. Ohnehin stellen ihre Forschungsobjekte keine übertriebenen Ansprüche.

Frei von Nerven und Blutgefäßen, hält ein gesunder Puffer im Knie kurzzeitig dem Gewicht von Hunderten Kilo mühelos stand, ohne zu klagen. Diese Druckelastizität verdankt der hyaline, also durchscheinende Knorpel der Fähigkeit, große Mengen Flüssigkeit zu binden. Bis zu 80 Prozent beträgt der Wasseranteil. Dabei misst der Gelenküberzug an der dicksten Stelle im Knie gerade mal sechs Millimeter. Die Kehrseite der geringen Stoffwechselaktivität ist eine beschränkte Fähigkeit zur Regeneration. Einmal geschädigt, bildet der Knorpel häufig nur Ersatzgewebe, das weniger belastbar ist. Das wurde schon vor mehr als 250 Jahren beschrieben. „Hyaliner Knorpel heilt nicht“, formulierte 1760 der schottische Anatom William Hunter.

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Retortenknorpel: Goldstandard bei Knorpeldefekten

Die Arthrose-Forschung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auf zwei Felder konzentriert: die Verbesserung der Endoprothetik – also länger haltbare Prothesen – sowie die Entwicklung von Knorpelersatz, das sogenannte Tissue Engineering. In geeigneten Fällen können Ärzte beispielsweise gesunde Knorpelzellen aus einem unbelasteten Kniegelenkanteil entnehmen, im Labor vermehren und bei einer zweiten OP an die defekte Stelle setzen. Erstmals in den 90er-Jahren angewendet, gilt diese autologe Chondrozyten-Transplantation (ACT) heute als Goldstandard bei Knorpeldefekten im Zentimeterbereich. Der Retortenknorpel stößt jedoch an Grenzen, sobald das Stützgewebe des Gelenks großflächig geschädigt ist. „Bei der Mehrzahl der Arthrose-Patienten ist die Knorpeloberfläche bereits zur Kraterlandschaft degeneriert. Diese Lücken lassen sich nicht mit angezüchtetem Knorpel auffüllen, weil zu wenig gesundes Gewebe existiert, das den neuen Knorpel verankert“, sagt Max Löhning. 

© Sven Döring für FOCUS-Gesundheit

Lediglich überschaubare Erfolge bringt auch die Mikrofrakturierung: Bei diesem Verfahren bohren Ärzte den Knochen unter dem geschädigten Knorpel an. Das provoziert die Knochenmarkzellen, frischen Pfuffer zu bilden – allerdings keine hyaline Premiumware, sondern weniger belastbaren Faserknorpel. Der Eingriff erfolgt im Rahmen einer Kniespiegelung und wird vor allem bei tiefen Knorpelschäden empfohlen, die bis auf den Knochen reichen.

Löhnings Strategie setzt deshalb auf die Umpo­lung von schwächelnden Chondrozyten. Dabei fängt er nicht bei null an. Die Umsteuerung von Körperzellen ist ihm schon einmal gelungen, bei den T-Lymphozyten des Immunsystems. In einer Studie entdeckte der Wissenschaftler im Jahr 2010, dass sich ausgereifte, bereits spezialisierte T-Helferzellen mit geeigneten Verfahren umschulen lassen – nämlich vom Viren- zum Parasitenbekämpfer. Bis dahin nahm die Expertenwelt an, dass die Prägung dieser Zellen unwiderruflich sei. Nun gilt es für Löhning und seine Kollegen, das Kunststück der Zellumprogrammierung mit den trägen Chondrozyten zu wiederholen.

So halten Sie ihre Gelenke gesund:

Mit diesen 6 Tipps können Sie Knorpelabbau verhindern – oder zumindest stark bremsen.

Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in FOCUS-GESUNDHEIT „Schmerzfrei bewegen" – als Print-Heft oder als digitale Ausgabe.

 

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