Eine 50-jährige Patientin aus Kanada kommt mit einer Alkoholvergiftung in die Notaufnahme. Sie wirkt schläfrig, spricht undeutlich und riecht nach Alkohol. Der Bluttest liefert ein eindeutiges Ergebnis: Die Frau hat jede Menge Alkohol im Blut. Trotzdem erklärt sie, dass sie keinen Tropfen getrunken hat. Was wie eine lächerliche Ausrede klingt, ist in Wahrheit eine seltene Erkrankung.
Kanadische Forscher haben den Fall gerade im Fachmagazin CMAJ veröffentlicht. Die Kanadierin litt am sogenannten Eigenbrauer-Syndrom. Bei dieser Erkrankung produzieren Mikroorganismen im Darm aus Zucker, genauer gesagt aus Glukose, größere Mengen Alkohol, die ins Blut gelangen und die Betroffenen betrunken machen.
Pilze produzieren im Darm Alkohol
Dass im Körper Alkohol gebildet wird, ist an sich nichts Ungewöhnliches. In jeder Darmflora gibt es Pilze, die Kohlenhydrate in Ethanol, also Alkohol, umwandeln. Normalerweise geschieht dies aber nur in sehr geringen Mengen und bleibt deshalb unbemerkt.
Das Eigenbrauer-Syndrom entsteht, wenn die Darmflora aus dem Gleichgewicht gerät. Bestimmte Hefepilze, manchmal auch Bakterien, die Glukose zu Alkohol vergären, wie beim Bierbrauen, können sich dann sehr stark vermehren. Die Ursachen sind unterschiedlich: etwa eine Erkrankung oder die Einnahme von Antibiotika.
Essen Patienten zudem kohlenhydratreich, also viel Brot, Pommes, Pizza und Co., kurbelt das den Gärungsprozess im Darm so richtig an. In der Folge gelangen größere Alkoholmengen ins Blut und der Betroffene wird betrunken. Dabei spiel es keine Rolle, woher der Alkohol stammt, der im Blutkreislauf ist. Ob aus dem Weinglas oder durch die Eigenproduktion von Darmpilzen – die Wirkung ist die gleiche.
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Betroffene sind beschwipst und wissen nicht warum
Bei der kanadischen Patientin verursachte die wiederholte Einnahme von Antibiotika mit den Wirkstoffen Ciprofloxacin und Nitrofurantoin die Fehlfunktion des Darms. Sie hatte die Medikamente eingenommen, um wiederkehrende Harnwegsinfektionen zu behandeln.
Für die Betroffenen ist das Eigenbrauer-Syndrom eine starke Belastung. Weil es sich um eine seltene Erkrankung handelt, ist der Weg zur Diagnose oft lang. Patienten wird unterstellt, gerne mal einen über den Durst zu trinken. Sie sind regelmäßig beschwipst und wissen nicht warum. Dazu kommen Leberschäden, die langfristig durch den Alkohol im Blut entstehen und bis zur Leberzirrhose führen können.
Die Kanadierin litt jahrelang an starker Schläfrigkeit, die mitunter zu Stürzen führte, hatte eine undeutliche Sprache und roch nach Alkohol, obwohl sie aus religiöser Überzeugung schon seit Jahren keinen Tropfen mehr angerührt hatte.
Erst als sie ein Antimykotikum verordnet bekam – ein Medikament, das Pilze hemmt – zudem Probiotika einnahm, um die Darmflora zu stärken, und einige Wochen lang eine kohlenhydratarme Ernährung einhielt, verschwand die Betrunkenheit.
Quellen
- Zewude R T et al.: Auto-brewery syndrome in a 50-year-old woman; Canadian Medical Association Journal; 2024; DOI: 10.1503/cmaj.231319